Photos: G. Erlacher 2018
Schlaf mein Kind, ich wieg dich leise, bajuschki-baju.
Спи, младенец мой прекрасный, баюшки-баю.
Sleep, my child, I shall rock you gently, bajuschki-baju.
In commemoration of the Cossack tragedy that took place in the valley basin of Lienz at the end of World War II.
This project aims to commemorate the women and children who had followed their husbands and fathers into war, and became the victims of political trade-offs and negotiations.
Painted onto the ground of our public path, you see the words: „Sleep, my child, I shall rock you gently, bajuschki-baju“ – once in German: „Schlaf mein Kind, ich wieg dich leise, bajuschki-baju„, and once in Russian: „Спи, младенец мой прекрасный, баюшки-баю“. It is the opening line of The Cossack Lullaby, written in 1838 by the Russian poet Michael Lermontov. Set to a variety of melodies, these words have been sung on the bedsides of countless children in Russia and beyond.
Having fiercely resisted the Russian Revolution, many Cossacks decided to fight alongside Germany in World War II. At the end of the war, several thousand Cossack soldiers, accompanied by their wives and children, found themselves in the area around Lienz and Upper Carinthia – which were now part of the British-occupied zone.
Despite an initial promise of safe conduct, the heads of state negotiating at the Conference of Yalta decided on a different fate: all Cossacks were to be surrendered to the Soviet troops. Those who recognised the imminent betrayal attempted to flee or take their own lives, terrified of Stalin’s inevitable revenge. Desperate mothers took their children to be drowned in the waters of the Drau River – choosing a joint death over Soviet imprisonment and torture.
The first line of The Cossack Lullaby, whose letters become part of your journey along this path, lets us remember the innocent child – sleeping peacefully until high-level powers incited a terrible human tragedy.
Katarina Schmidl 2017/18
Financed by:
On the occasion of the opening of the project on 2nd of June 2018, the youth choir of the BORG Lienz sings the lullaby:
Bajuschki-baju, schlaf mein Kind, ich wieg Dich leise
Ein stilles Denkmal für zivile Opfer einer Fluchtbewegung von Katarina Schmidl
Ingeborg Erhart
Wenige Meter von dem kleinen Kosakenfriedhof in Lienz-Peggetz mit seiner hölzernen, von russisch-orthodoxen Kirchenbauten inspirierten Kapelle entfernt, wurde Anfang Juni 2018 mit Straßenmarkierungsfarbe ein Schriftzug auf dem an der Drau entlangführenden Radweg aufgemalt. „Schlaf mein Kind, ich wieg Dich leise, bajuschki-baju“, steht seither auf Deutsch und Russisch hier zu lesen. Nicht jede_r Passant_in wird der Inschrift gewahr werden. Denjenigen, die innehalten und den Text auf der am Wegesrand platzierten, schlicht gehaltenen Informationstafel lesen, während das Rauschen des Wassers die Soundscape bildet, wird die große Bedeutung des subtilen Kunstwerks schlagartig klar. Hier wurde, anders als bei Gedenktafeln und Monumenten, die an kriegerische Auseinandersetzungen erinnern und gefallene Soldaten ehren, völlig auf Pathos und den Duktus der Heldenverehrung verzichtet. Wie denn auch? Die Opfer, denen an dieser bewusst etwas im Abseits liegenden Stelle mit der ersten Zeile eines russischen Wiegenliedes gedacht wird, sind Frauen und Kinder.
Ihre Männer bzw. Väter – Kosaken, die dem Zar treu waren, sich gegen die Russische Revolution gestellt haben und aus diesem Grund mit ihren Familien Russland verlassen hatten – kämpften im Zweiten Weltkrieg auf der Seite Hitler-Deutschlands. In den Nachkriegswirren gerieten sie in Osttirol und Oberkärnten, damals Britische Besatzungszone, zwischen die Fronten und sollten an Russland und somit Stalins Rache ausgeliefert werden. Da dies den Untergang bedeutet hätte, stürzten sich viele Frauen aus Verzweiflung in die Drau. Etliche nahmen ihre Kinder mit in den Tod.
Katarina Schmidl setzt ein Zeichen für die zivilen Opfer, die der Krieg auch noch nach seinem offiziellen Ende forderte. An die mit den Kosaken mitgereisten Frauen und Kinder wird ihre Intervention für einige Zeit erinnern. Vielleicht verschwindet der Schriftzug, wenn nach vielen Jahren tausende Räder darüber gerollt sein werden. Oder jemand wird sich darum kümmern und die Farbe auffrischen. Der ephemere Charakter des Werks erhöht die Spannung: das „niemals Vergessen“ ist ein aktiver Prozess. Monumente ersetzen nicht die Auseinandersetzung mit Geschichte.
Die Wörter „bajuschki-baju“ wurden bei der Übersetzung des bis heute populären, kosakischen Wiegenliedes, das auf ein Gedicht von Michael Lermontow, einem bedeutenden Dichter der Romantik, zurückgeht, ins Deutsche ausgespart. Sie sind nicht übersetzbar und bedeuten in der Kleinkindersprache „schlafen“, vergleichbar mit dem bayrisch-österreichischen Wiegen- bzw. Weihnachtslied „Heidschi Bumbeidschi“. Dadurch, dass Katarina Schmidl sich auf ein Schlaflied bezieht, dessen Textebene noch dazu Lautmalerei von Babies aufweist und das alltägliche Mittel der Straßenmarkierungsfarbe einsetzt, entzieht sich ihre Arbeit einer Umdeutung. Der martialische Pomp, der Kriegerfriedhöfen und -denkmälern oft anhaftet, lässt dies mitunter zu. Bei der jährlichen Gedenkfeier am Kosakenfriedhof in Lienz-Peggetz am 2. Juni 2018 erschienen neben Kosaken und Mitgliedern von Traditionsvereinen auch einige Personen, die ganz offensichtlich mit dem nationalistischen Motorrad-Rocker-Club Nachtwölfe sympathisieren. Da die Präsentation von Bajuschki-baju, schlaf mein Kind, ich wieg Dich leise unmittelbar davor stattgefunden hatte, konnten sich alle Besucher_innen noch stärker von dem Kontrastpunkt überzeugen, den die Künstlerin gesetzt hat. Die Kosaken, ihre Frauen und Kinder, die 1945 in Lienz und Umgebung zu Tode gekommen sind, mögen in Frieden ruhen. Wir als Rezipient_innen sollten Katarina Schmidls Arbeit als Anstoß dafür sehen uns bewusst zu machen, wie wichtig es ist, von der Geschichte zu lernen und sich für Frieden und Menschenwürde einzusetzen.